Mit freundlicher Erlaubnis von Frau Dr. Jenny Graf-Bicher hier nun ihre einführenden Worte zu meiner Austellung (Langerwehe, 27.01.2013):
Hildegard Schemehl hat das Thema ihrer Ausstellung in der Reihe GangArt aus dem Ort der Präsentation abgeleitet: Der Gang ist der Raum, in dem Kommen und Gehen stattfindet und sich Begegnung ereignet. Hier im Haus ist der Gang der Ort, den Sie alle beim Hereinkommen betreten und durchschritten haben. Und sicher haben Sie dabei vielerlei Arten von Begegnung, entsprechend dem Ausstellungstitel, erlebt. Die Begegnungen finden während dieser GangArt-Ausstellung immer im Beisein der Arbeiten von Hildegard Schemehl statt, und sollen heute vor allem mit diesen Werken selbst, die in den vergangen Monaten für diese Präsentation geschaffen wurden, vertieft werden.
Die Begegnung beginnt mit einer Fotoreihe und Werkproben, die die beiden vorrangig angewandten keramischen Techniken des Raku und des Naked Raku erklären, geht dann über Schalen, Vasen und Dosen auf Podesten, in Vitrinen, auf Stufen, bis hin zur hängenden Schriftrolle über unseren Köpfen, die erst beim Rückblick am Ende des Ganges wirklich gesehen und gelesen werden kann.
Hildegard Schemehl hat uns so schon beim Hereinkommen in eine kaum merkliche Choreografie eingebunden. Es lohnt sich, dieser Choreografie ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken.
Den Beginn macht die Schale mit dem Titel „Annäherung“ . Annäherung ist die erste Voraussetzung für eine gelingende Begegnung. An dieser Arbeit lernen wir gleich eine der wiederkehrenden Werkformen der Künstlerin kennen: flach und dünnwandig schwebt die Schale eher als dass sie auf der Unterlage steht oder liegt. Die abgerundeten Ränder nähern sich dem Viereck an, bleiben aber weich und schwingend. Die Oberfläche zeigt von den Seiten zur Mitte strebende Farnblätter, deren Spitzen sich fast berühren. Das Sinnbildhafte dieser Gestaltung im Zusammenhang mit dem Titel vermittelt sich sofort. Annäherung auf den ersten Blick.
Im nächsten Werk, der Schale „Wachse dir entgegen“ , kommt ein weiteres, verstärkendes Element hinzu: der poetische Text. Ein kleiner Vierzeiler, der an den vier Seiten der Schale entlangläuft, begleitet in Worten die Aussage der komplex gestalteten Schalenoberfläche. Kontrastreich in Formgebung, Farbe und Zeichnung ist hier die Sehnsucht nach Berührung und Austausch zu einem keramischen Bild geworden.
Mal mit, mal ohne Text variieren weitere Schalen verschiedene Stufen und Arten der Begegnung. Die Titel deuten die Vertiefung des Themas an, das mit immer neuen Formfindungen künstlerisch ausgeleuchtet wird. Entdecken Sie selbst die Nuancen und Verzweigungen, die mit dem Gelingen oder auch den Mühen der Begegnung verbunden sind, etwa in den Arbeiten „Zusammenfluss“ , „Irrgarten“ , „Was uns trennt – was uns verbindet“ .
Neben den zarten Schalen bringt Hildegard Schemehl auch klassisch geformte Vasen und Dosen zum Sprechen. Am Anfang des Ganges begegnet uns ein besonderes Vasenpaar. „Sich treffen und sich trennen“ ist der Titel der Vase in der Technik des Naked Raku, „Sich treffen und zusammenbleiben“ der Titel der ähnlich geformten aber in Rakutechnik gebrannten zweiten Vase. Die in den Titeln anklingenden unterschiedlichen Begegnungen finden sich in feinen Variationen der Streifenstrukturen, die einmal geritzt und einmal plastisch gebildet sind.
In der nächsten Vasengruppe wird das Thema Begegnung noch einmal durch die kraftvolle Struktur von Streifen in Szene gesetzt. Allerdings spielt hier die Gefäßform selbst, das Ausladen und Sich-Wieder- Schließen, die Hauptrolle in dem Spiel mit dem Titel „Strebt auseinander und wieder zusammen“.
Auf vielen Vasen entfaltet sich das Thema nicht nur auf diesem eher abstrakten Weg der Formung, sondern wird intensiviert durch die eingebrannten handschriftlichen Texte der Künstlerin. Hier wird besonders deutlich, und für den Betrachter als Herausforderung spürbar, dass die Gefäße von Hildegard Schemehl wohl Gefäße für Dinge, aber vor allem Gefäße für Gedanken und Gefühle sind, wie sie es selbst formuliert. Das Gefäß will umrundet und entziffert werden und nach innen wirken, Anklänge an die historische Bedeutung von kostbaren Salb- und Ölgefäßen, oder von Urnen, die ein hohes Gut bergen, Erfahrungen und Erinnerungen bewahren, schwingen sicher mit.
Überall lassen sich schöne Korrespondenzen von keramischer Gestaltung und poetischem Text entdecken:
Beim Dosenobjekt „Begegne dem Wind“ liegt der aus wenigen Worten bestehende Text auf einem hell polierten Grund, der im Naked Raku-Verfahren entstanden ist und die Form eines im Wind wehenden Blattes hat, das über Gefäß und Deckel hingleitet.
Im Dosenobjekt „Erwarten“ wird die freudige Stimmung akzentuiert durch golden schimmernde Blattformen, die mit technischer Raffinesse vor allem den Deckel zieren. (Kupfermatt)
Der Deckel zur Dose „Fand einen Faden“ nimmt die Formen der Schale „Labyrinth“ wieder auf, während die Zeilen von der Unzuverlässigkeit des Ariadnefadens sprechen.
Das Gedicht auf der Dose „Begegnung im Spätherbst“ nutzt das Bild der nach Süden fliegenden Kraniche, die sichtbar und plastisch fühlbar über den Deckel der Dose ziehen.
Das letzte Stück ihrer Ausstellung hat Hildegard Schemehl „Berührung“ genannt. Wie ein großer Handschmeichler laden uns die Form und der Text ein, die hier angeregten Gedanken und Gefühle auch in die Tat, in die Berührung, in die glückende Begegnung umzusetzen.
Auf Steigerung ist so die Choreografie von Hildegard Schemehl angelegt, die uns ganz sinnlich durch die vielfältigen Möglichkeiten von Begegnung führt, von der ersten „Annäherung“ bis zur zärtlichen „Berührung“. Zum Schluss können wir in den Zeilen auf der transparenten Schriftrolle das Thema und seine Variationen mit Bezug auf unseren Alltag im Stadtgetriebe (oder auf Vernissagen) noch einmal reflektieren.
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